Resilienz - Schönwetterkapitäne und Sturmbootführer

21.07.2020 15:53:58 | BLOG | CascadeIT, Helmut Steigele | BLOG | 0 Kommentare


Da haben sich selbst bei mir die Ohren eingekringelt. Vor ca. zwei Jahren sass ich in einer Konferenz zum Thema Führungstechnik im digitalen Kontext. Ein Kollege referenzierte auf die Entscheidungshilfen VUCA und CYNEFIN und wie selbige in stürmischen Zeiten helfen, so zu entscheiden, dass die Verluste für die eigene Organisation möglichst gering ausfallen.

Am Buffett-Tisch, dann die markige Replik eines Zuhörers: Mit derart akademischen Geschmonze könne er nichts anfangen, wenns stürmisch wird, gäbe es nur zwei Dinge: Klare Spielregeln (der Chef bin nur ich) und klare Ansage (es geht dort hin, wo ich es sage...)

Ich versuche gerade mir vorzustellen, wie es heute dem Unternehmen geht, die mit dieser Führungskraft gesegnet ist. Noch mehr stelle ich mir allerdings die Frage, was in Situationen wie diesen für Unternehmen wirklich verlustmindernd wirkt.


Genau das haben viele kluge Köpfe in der BWL schon ab den späten 90ern gemacht und sich die Frage gestellt, was zukunftsfähige Führungskräfte beachten, wenn Sie nicht nur in "stabilen" sondern eben auch in "volatiler" Umgebung unterwegs sind.


Immer wieder aufgetaucht sind die Faktoren Informationsfluss, Vertrauen, Entscheidung (Im Sinne der Entscheidungsqualität)

 




Das dürfte auch jedem Praktiker einleuchten. So lange es ruhig ist, wenige Entscheide notwendig sind , und so lange es daher nicht zu einer Überlastung im Informationsfluss kommt, so lange wirds auch nicht allzuviel Probleme geben, ergo sieht man, dass man mit möglichst wenig Energieaufwand von Punkt A zu Punkt B gelangt.

 

Für den Chef ists hier einfach. Erstens verbraucht er nicht allzuviel Energie fürs Entscheiden, zweitens sind die Faktoren "Vorhersehbarkeit", effizienter Ressourceneinsatz, präzises Erreichen von Vorgaben (Stichwort KPI) im Vordergrund, drittens heisst es, so schnell und so sparsam wie nötig ans Ziel.

 

Wer so führt und so Erfolg definiert, vergisst eines. 

Das Leben ist kein Ponyhof und Mitarbeiter bzw. Organisation müssen auch auf Situationen vorbereitet sein, in denen nicht alles klar ist!


Was also, wenn die Lage unklarer wird (Wir betreten jetzt die sogenannte VUCA-Welt), wenn ein abrupter Wandel in Geschäftsumfeld, Geschäftsabwicklung und Unsicherheit in der Ressourcenversorgung alles über den Haufen wirft, bedeutet das:

 

  • Die Angst nimmt zu
  • Die Informationen fliessen entweder nicht, zu schnell, zu langsam, oder in die falsche Richtung
  • Entschieden wird zu langsam, am falschen Ort und von den falschen Personen
  • Das Vertrauen ins Unternehmen und in seine Überlebensfähigkeit selbst schwindet, langfristig ist womöglich sogar die Existenz des Unternehmens selbst gefährdet


Ein weiterer Folgeeffekt (und genau das bekommen wir im Hier und heute zu spüren).  Wer sich selbst als Chef nur der Effizienz verschrieben hat und nur "Abstimmer, Entscheider, Freigeber, Planer und Kontrollore (i. e. Manager) eingestellt hat und dem Irrglauben verfallen ist, dass mit Best Practice die Maschine läuft, kommt jetzt an seine Grenzen, bzw. denkt jetzt mehr an seinen eigenen sicheren Hafen, als an jenen, der für die Gesamtorganisation relevant ist.

 

Jene aber, die von Beginn an im Modus gefahren sind, Informations- und Entscheidungsflüsse kurz sein sollten, dass am schnellsten am Ort der Risikoentstehung entschieden wird, das Selbstvertrauen und die Kritiklust der Mitarbeiterbasis eine Stärke sein sollten, mit der man als Chef gerne und mit Lust umgeht, das sind jene Chefs die die jetzt im Vorteil sind. Sie haben Resilienz geübt, gelernt und erlebt, keine Angst und können daher mühelos vorne, hinten oder wo auch immer stehen. Sie sind und bleiben "Chef" (auch wenn ihnen selbst das Schicksal der Organisation näher liegt, als der Chefnimbus selbst).

 

Kernerkenntnis: Resilienz kann man und sollte man üben, man kann sie erlernen und sich dadurch einiges an Ärger ersparen





Kehren wir also zurück zur markigen Antwort aus dem Eingangsabsatz (Der Chef bin ich und es geht dort hin, wo ich es sage...). Das mag bei klarem Ausblick funktionieren, was aber wenn durch stürmischen Wellengang

  • Die Angst aller Beteiligten steigt
  • Nicht mehr alles gesagt, gemeldet, gemessen oder kommuniziert wird
  • Die Entscheidungen sich genau dort stauen, wo der Chef ist, und der Chef gar nicht mehr die Zeit und die Ressourcen hat allen zu sagen, wo und wie es gerade lang geht...

In einer solchen Situation ist das Lagebild vielschichtiger (VUCA-Welt):






Klarer Ausblick:

  • Feststellen (Messen, Information, Kritik und Verbesserungsvorschläge zulassen)
  • Ursache und Wirkung zuordnen
  • auf die Abweichungen antworten und aus den Ergebnissen lernen
  • Ergebnisqualität erreicht - Selbstvertrauen gestärkt
Achtung, wer hier auf das "Lernen" verzichtet, hat sich schon mal selbst langfristig im Sinne der Resilienz ins Knie geschossen....

Chef ist hier der: der im besonderen Einzelfall genau das lobt, bestätigt und aufzeigt, was zum erwünschten Zielzustand (Compliance) beigetragen hat bzw. der der zeigt, wo etwas mit weniger Anstrengung ans Ziel geführt hätte.


Zweideutiger Ausblick:

 

  • Feststellen (Messen, Information, Kritik und Verbesserungsvorschläge zulassen)
  • Ursache und Wirkung herausfinden
  • Entscheidungskorridor festlegen (Entscheidung dort fällen lassen, wo die Zweideutigkeit aufgetreten ist, durch jene, die mit der Zweideutigkeit konfrontiert sind)
  • Für alle Beteiligten ist die Situation klar, es wird schneller vor Ort entschieden, der Sinn und Zweck eines Auftrages ist erfüllt, der Schaden für die Organisation ist limitiert oder abgewendet.
Achtung, wer hier auf das "Was kann das nächste mal besser gemacht werden" verzichtet, fördert nur eins, Angst und verzögerten Informationsfluss

Chef ist hier der, der Vertrauen zeigt, das Lernen fördert und sich damit eine anpassungsfähige (Adaptability) Mannschaft herantrainiert, die auch dann sinn- und auftragsgemäss handelt, wenn er einmal nicht da ist


Vieldeutiger Ausblick:

 

  • Feststellen (Messen, Information, Kritik und Verbesserungsvorschläge zulassen)
  • Ursache und Wirkung herausfinden
  • Entscheidungskorridor und Entscheidungsort an die Front verlegen, nur das was auf die Gesamtorganisation wird, zentral unter Kontrolle halten 
  • Sinn und Ziel einer Vorgabe erreicht, Verbesserungen anstossen, Selbstvertrauen dort stärken wo die zweckmässigen Entscheide gefallen sind (am Ort der Zweideutigkeit)


Achtung, wer hier auf das "Kann uns das nochmal passieren" verzichtet, fördert nur noch mehr Angst und noch mehr Chaos, wenns nochmal dazu kommt. Warum: Weil man beim Chef dann nicht mehr sagen kann "Er weiss was er tut und er weiss noch  mehr wie es uns dabei geht..."


Chef ist hier also der, der um Klahrheit (Clarity) für alle besorgt ist. Dies damit Unsicherheit und Angst  nicht um sich greifen, respektive innerhalb der Organisation die Effekte innerer Distanzierung, des Abklemmens von Informationen und das für den Chef steigende "Mikromanagement" nicht überhand nehmen


Unsichere Lage:

 

  • Vorschläge einholen, (Vorher abklären was ist so wie zuvor, was ist neu) ein im Risiko begrenztes neues Vorgehen testen
  • Feststellen was passiert ist (Messen, Information, Kritik und Verbesserungsvorschläge zulassen)
  • Aufzeigen was in dieser Situation jetzt wesentlich ist, Richtung vorgeben
  • Das Ergebnis abwarten, fortfahren oder Richtung korrigieren und den Leuten die Sicherheit geben, dass man noch im Korridor aber noch nicht im ruhigen Gewässer ist

Achtung, wer hier vergisst, dass es eben auch Dinge gibt, die schief laufen können, aber die Organisation selbst immer noch auf "Kurs" ist, sich stattdessen aber auf das "straffe Führen in allen Details" verlegt, überlastet sich selbst

Chef ist hier also der, der signalisiert, das er sich bewusst ist, was passiert (Understanding), Er wird wahrscheinlich auch mehr zuhören, weniges aber wesentliches sagen und darauf achten, dass Richtung und Kurs stimmen. Er bestätigt also in vielen Fällen etwas, was schon entschieden ist, er korrigiert dort, wo es ums Wesentliche geht (das Überleben der Organisation und seiner Organisationsmitglieder) und schafft damit die Gewissheit an der Basis das zweckmässige getan zu haben.



Stürmische Lage:


 

  • Präsenz zeigen (So solls aussehen - Vision und nächste Etappe um aus der Gefahrenzone zu kommen)
  • Lageinformationen einholen (Wo liegen wir jetzt - welche Optionen haben wir)
  • Notmassnahmen anstossten (Ziel: Existenz der Organisation sichern)
  • Informationsrückfluss nutzen - Prüfen wieviel Daseinszweck, Organisation und Organisationsmitglieder gelitten haben
  • Das Ergebnis abwarten, fortfahren oder Richtung korrigieren und den Leuten die Sicherheit geben, dass man noch im Korridor aber noch nicht im ruhigen Gewässer ist

Achtung, wer hier vergisst, dass die Leute oft nur eines brauchen, nämlich jemanden zu sehen, der Verantwortungsvoll handelt und in kurzen klaren Bildern zeigt, wo sie hin sollen, bringt sich und seine Mitarbeiter in Gefahr

Chef ist hier also der, der zeigt, dass er da ist, dass er noch auf andere hört, aber er in der Lage ist zu zeigen, in welche Richtung es geht. Dieser Chef, weiss aber auch, dass er diesen Zustand nicht ewig durchhalten wird...


So weit so gut, was aber hat das ganze mit dem Thema Resilienz zu tun: 

Resilienz bedeutet, dass sowohl Chef wie Mannschaft schon in "Friedenszeiten" oft die Möglichkeit haben oder hatten, all diese zuvor genannten Erfahrungen zu machen, um folgendes zu trainieren:

  • Vertrauen gewinnen
  • Angst und Unsicherheit ertragen
  • Herausfinden, wo, wann, je nach Organisationszweck und Umfeldbedingungen, es am besten ist zu entscheiden
  • Die Erfahrung zu geniessen, dass ein gemeinsames Bewältigen einer Situation befriedigender sein kann, als das die Überzeugung ein Chef zu sein (PS: Die haben immer ein Ablaufdatum)...


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